Spendenfahrt nach Przemyśl
Am vergangenen Wochenende haben wir unsere zweite Fahrt nach Przemyśl an
die polnisch/ukrainische Grenze unternommen.
Ursprünglich hatte ich gedacht, wir können Euch und den lieben Spendern, die
uns unterstützt haben, ein Feedback über social media geben und regelmäßig
berichten. Aber sich zwischendurch immer wieder dafür Zeit zu nehmen und
dann auch ’nur‘ kleine Texte zu schreiben erschien mir nicht sinnvoll.
Deswegen habe ich mir ein paar Notizen gemacht und noch Sonntag nach der
Rückkehr so frisch wie möglich diesen Reisebericht geschrieben.
Es ist zwar mehr Text geworden als ich dachte aber es ging mir darum, das
Bild, was man sich von der Fahrt machen kann, nicht nur in Gesprächen im
privaten Kreis zu vermitteln sondern auch anderen Menschen davon zu
erzählen. In meinen Posts und Spendenaufrufen vor der Fahrt hatte ich immer
betont, dass jeder so helfen soll, wie es ihm oder ihr möglich ist. Trotzdem ist
es vielleicht ein hilfreicher Einblick, wie so eine Fahrt abläuft wenn man das
erste oder zweite mal versucht, selbst aktiv zu werden und wie wir sie erlebt
haben.
Vorbereitung
Der Verein hatte auf der letzten Mitgliederversammlung seine Unterstützung
zugesagt, also konnten wir dieses mal auch finanzielle Zuwendungen viel
einfacher annehmen. Ein großes Danke dafür besonders an Fabi vom Vorstand,
der die Buchführung dann machen wird.
Fünf Tage hatten wir in der Gemeinschaftswerkstatt die Spenden
angenommen, in der sich eigentlich die Hobbyschmiede der Hospitaliter meist
tummeln.
Am Freitag wurde dann sortiert. Möglichst ’sortenrein‘ und dreisprachig
beschriftet in polnisch, englisch und ukrainisch. Die Hilfsbereitschaft war
wieder groß und von Verbandsmaterial über Drogerieartikel wie Zahnpasta,
Babynahrung und Windeln bis zu Schlafsäcken wurde viel abgegeben. Gerade
auch medizinische Güter hatten wir bekommen: NaCl-Lösung,
Verbandsmaterial, Infusionsuntensilien.
Von den Geldspenden haben wir dann noch einmal aufgefüllt, damit beide
Autos gut ausgenutzt werden:
Hauptsächlich Konserven, Nudeln, Kaffee.
Wer unsere Spendensammlung verfolgt hat, weiß, dass wir ursprünglich mit
drei Autos fahren wollten. Wir hatten uns sehr kurzfristig dann in der Gruppe
entschieden nur zwei Fahrzeuge zu nehmen weil wir unsicher waren ob wir
alles voll bekommen würden und wieviel Flüchtende unser Mitfahrangebot
benötigen/annehmen.
Freitag 19:00 – Hinfahrt
Wir treffen uns 19 Uhr zum Beladen und es passt alles gut rein. Also geht es
19:45 Uhr etwas früher los als wir geplant hatten.
Die Fahrt ist soweit unspektakulär. Rauf auf den Magdeburger Ring -> A14 ->
am Dreieck Nossen dann auf die A4.
Und dann immer geradeaus. Die deutsche A4 wird zur polnischen A4 und wir
fahren in angenehmen Reisetempo immer geradeaus.
Je tiefer wir nach Polen reinfahren, desto öfter sieht man dann die UkraineFlaggen und Aufrufe an den Autos. Aufschriften wie „stand with ukraine“,
„pomoc dla ukrainy“ (Hilfe für die Ukraine). Es sind einzelne PKW oder auch
kleine Konvois mit 3 bis 5 Vans und Kleitransportern – selten auch große LKW.
Die Kennzeichen verraten, dass Menschen von überall herkommen um Hilfe zu
bringen. Diesmal sind es viele Deutsche, die wir sehen. Aber wie bei der ersten
Fahrt sind es auch BeNeLux, Briten, Tschechen und andere. Auch viele Polen.
Die Fahrt bleibt reibungslos. Es geht vorbei an Breslau, Katowice, Krakau…
Kurz vor der Grenze zur Ukraine fahren wir ab und legen die letzten 15km auf
einer Landstraße zurück, dann durch die Stadt Przemyśl bis zu dem
Gewerbegebiet in dem unser Ziel liegt.
Samstag 06:15 – Ankunft und Spendenabgabe
Das ‚Humanitarian Aid Center Przemyśl 1‘ ist in einem leerstehenden
Einkaufszentrum eingerichtet.
Wir sind zu früh. Die Annahme von Hilfsgütern ist erst ab 8 Uhr besetzt.
Also gehen wir zur Registrierung. Alle Fahrer, die Flüchtenden eine
Mitfahrgelegenheit anbieten, werden mit Kennzeichen und Perso-/Passnummer
registriert. Das war auch bei unserer ersten Fahrt Anfang März so.
Ich gehe zu einem Soldaten, der vor der Registrierung sitzt und frage ob wir
uns hier als Fahrer melden können.
Er spricht kein Englisch, versteht aber was wir möchten und schickt uns wieder
nach draußen auf den Parkplatz.
Wir sollen uns bei einem Zelt melden.
Das Zelt sieht noch nicht sehr geschäftig aus um diese Uhrzeit. Drinnen sitzen
zwei junge Polinnen an Laptops. Auch sie sprechen kein Englisch aber geben
mir eine Liste auf der für jedes Land ein Ansprechpartner mit Handynummer
aufgeführt ist. M. ist für das ‚german desk‘ zuständig. Ich speichere die
Nummer und, wieder draußen, rufe ich ihn erfolglos an. Er scheint auch noch
nicht vor Ort zu sein weswegen ich ihm eine Nachricht schicke, dass wir ihn
gerne sprechen möchten wenn er da ist.
Wir vertreiben uns etwa eine Stunde auf dem Parkplatz. Es sind schon einige
Leute unterwegs, entweder zur Morgentoilette, die draussen an einer Reihe
Dixi-klos verrichtet wird oder um mit dem Hund Gassi zu gehen und sich die
Beine zu vertreten. Neue Flüchtende kommen an, andere steigen in Kleinbusse
oder auch Reisebusse und werden weiter gebracht.
Das Hilfszentrum selbst dürfen wir nicht betreten. Das war letztes mal anders.
Es war zwar verboten zu fotografieren oder Videos zu machen, aber registrierte
Fahrer konnten neulich noch selbst hinein und mit den Leuten reden und
Passagiere suchen.
Kurz nach 7 Uhr treffe ich einen Helfer (Volunteer), der neben Spanisch und
Französisch auch Englisch spricht.
Alle Volunteers tragen Warnwesten, auf denen sie mit Edding die Sprachen
vermerkt haben, die sie sprechen.
Ich rede kurz mit ihm, dass wir schon einmal da waren und unsere
gesammelten Spenden gerne abgeben möchten. Er erklärt uns, dass sie die
Sicherheitsmaßnahmen noch weiter verschärfen mussten und wir deswegen
nicht rein dürfen wie im März. Da hatten wir unsere Kartons noch selber auf
einem Rollwagen ins Lager gefahren. Doch es sind zuviele Menschen
unterwegs, die wohl andere Absichten haben als zu helfen. Vergangene Woche
hätte die Polizei 12 Personen festgenommen, die versucht hätten, Kinder
mitzunehmen. Ich frage nicht weiter.
Er sagt aber, er würde sich um Helfer kümmern, die unsere Autos entladen.
Wir stellen die Autos direkt zum Eingang und warten wieder. Ab und an
unterhält man sich mit anderen.
Ein 50jähriger Mann spricht uns auf Deutsch an. Er war als Soldat in der DDR
stationiert und ist hier um Verwandte abzuholen. Er hat auch Bekannte, die
schon in Deutschland sind und er fragt uns, wie das alles läuft mit Wohnung
und Unterstützung vor Ort. Ich gebe ihm ein Infoblatt vom Innenministerium
mit, dass ich für unsere Mitreisenden vorbereitet habe.
Ein anderer ist Neuseeländer. Auch er spricht uns auf deutsch an, wechselt
aber immer wieder ins Englische. Er lebt in Bayern und ist als Volunteer
hergekommen.
Da sich kein Helfer zum Entladen blicken lässt, sprechen wir den nächsten
vorbeilaufenden Volunteer an. Er heißt S., ist auch vom ‚german desk‘ und sagt
uns, wir können doch direkt an der Ladezone die Spenden abgeben. Das sei
auf der Rückseite des Gebäudes. Als wir herumfahren wollen steht jedoch ein
Polizeibus dort und sperrt die Zufahrt. Ich lasse mein Handy ins Polnische
übersetzen und erkläre was wir möchten, ob wir hier richtig sind um die
Spenden abzugeben. Er verneint und sagt uns wir müssen vom Gelände und
das Gebäude auf der anderen Seite umfahren. Dort ist die Ladezone.
Dort angekommen geht es ziemlich fix. Kofferraum auf und die Kartons auf die
Laderampe reichen. Polnische Helfer nehmen alles ab und stapeln es auf
Paletten. Das Lager dahinter hatten wir im März von innen gesehen. Nachts
stehen ca. 40 Freiwillige in einem Raum, der in deutschen Einkaufszentren
einem großen Elektrofachmarkt zugute kommen würde. Dort werden alle
Kartons nochmal sortiert und dann für die Ukraine final auf Paletten gepackt.
Man bedankt sich bei uns als alles entladen ist – und wir uns bei ihnen. Der
erste Teil unserer Fahrt ist also erfolgreich abgeschlossen. Es ist jetzt 9 Uhr.
Samstag 9:00 – Absprachen und Schlafenszeit
Ich versuche es jetzt nochmal bei M. von der Registrierung auf dem Handy. Er
geht jetzt ran und ich erkläre ihm, dass wir nun entladen haben und heute 16
Uhr nach Magdeburg zurückfahren. Die Fahrer müssen vorher noch schlafen.
Er sagt, dass er sich bei den Flüchtenden umhören wird und sagt, wir können
gleich schlafen und die Registrierung am Nachmittag machen. Ich solle ihm
aber vorher noch die Eckdaten schicken. Zu 15 Uhr verabreden wir uns am
Registrierungs-Zelt.
Wir hatten untereinander schon ausgemacht, dass wir auch Städte auf der
Route anfahren würden wenn keiner nach Magdeburg möchte. Also schreibe
ich ihm, dass wir 9 Sitzplätze haben und neben Magdeburg auch Dresden,
Halle/Leipzig usw. auf der Südroute oder Cottbus, Berlin, Potsdam usw. auf der
nördlicheren Route anbieten können wenn jemand dorthin möchte.
Holger macht derweil das Auto zum Schlafen fertig und wir packen uns in die
Schlafsäcke.
Wir haben nicht gut geschlafen und viel zu wenig. Aber wir stehen 14 Uhr
wieder auf um uns was zu Essen zu besorgen. Etwas weiter ist ein
Fastfoodrestaurant mit zwei goldenen Bögen. Also Burger zum ‚Frühstück‘.
Es ist sehr voll weil viele Volunteers aber natürlich auch die normale
Kundschaft am Nachmittag dort ist.
Samstag 15:00 – Die Sache mit der Registrierung
Pünktlich 15 Uhr sind wir wieder zurück und warten am Zelt auf M. Ich rufe ihn
nochmal kurz an, sage Bescheid, dass wir da sind und er meint, er wäre in
10min da weil er noch ein Auto zur Abfahrt abfertigen muss.
Während wir warten treffen weitere Helfer ein. Ein Konvoi mit norddeutschen
Nummernschildern, den wir auf der Herfahrt schon gesehen hatten, ist da. Ein
Bikerclub mit 5 Kleinbussen. Sie sind auch erstaunt, dass das Prozedere sich
wieder geändert hat, allerdings auch etwas ungehaltener als wir. Sie fahren
zum siebenten mal, erzählt einer, und ärgern sich, dass die Registrierung so
kompliziert ist.
Die Biker sind später wieder gefahren. Sichtlich frustriert aber sie wollen an die
Grenze fahren und dort Ihre Fahrt anbieten.
M. ist immer noch nicht da. Aber wir treffen S. wieder, der uns verspricht, ihn
zu holen. Wir unterhalten uns noch mit einem Niederländischen Helfer, der uns
grob erklärt, wie die Registrierung laufen kann und was wir alles brauchen.
Aber durchführen muss das M.
Kurz vor 16 Uhr schickt er mir dann eine Nachrricht.
Er findet niemanden. Später auf der Rückfahrt wird er mir schreiben, dass sie
unterbesetzt sind. Das glaube ich ihm!
Wir diskutieren kurz, ob es Sinn macht, direkt an die Grenze zu fahren, wie die
Biker. Oder am Bahnhof in der Stadt die Fahrt anzubieten. Aber uns ist klar,
dass es den Rahmen sprengen wird. An der Grenze müsste man sich mit der
Polizei auseinandersetzen und klarmachen, dass man helfen möchte und die
Leute nicht verschleppt.
Am Bahnhof vermuten wir das gleiche Registrierungsprozedere und dann Leute
zu finden wird nochmal Zeit kosten.
Samstag 16:00 – Entscheidung und Rückfahrt
Der zweite Teil der Fahrt findet also nicht statt.
Ich halte nochmal Rücksprache mit jemandem in Magdeburg, der auch schon
in Przemyśl war und dort als Freiwilliger geholfen hat.
Er meint auch, dass wir dann so fahren sollten. Die Spenden konnten wir ja
abgeben.
Insgesamt sind es weniger Flüchtende hier vor Ort als im März. Trotzdem ist
die Situation nicht gut.
Hier ist wenig kommunale Organisation. Alles basiert auf den Freiwilligen, die
von überall herkommen und ehrenamtlich diese Leistung einbringen. Lediglich
Polizei und Armee unterstützen, was die Sicherheit angeht.
Und die Feuerwehr hilft beim Transport der Menschen von Medyka an der
Grenze bis zum humanitären Hilfszentrum.
Ich kann verstehen, dass es für M. und S. schwer war, in diesen sieben
Stunden jemanden zu finden, dem wir die Reise etwas angenehmer hätten
machen können.
Die Rückfahrt verläuft so problemlos wie die Hinfahrt. Wir fahren A4, machen
kurze Pausen zum Tanken, Rauchen, Pullern, Essen.
Und gegen zwei sind wir wieder an der Werkstatt in der Maybachstr. wo die
Fahrt begonnen hat.
Gedanken zur Fahrt
In diesem letzten Absatz kann ich nur für mich sprechen aber das Gefühl, dass
wir eben keine Leute mitnehmen konnten, beschäftigt mich noch. Klar, man
kann es schlecht planen, dass genau den Tag, an dem wir auftauchen 9
Menschen mit dem Zielort Magdeburg genau an diesem Grenzübergang
ankommen. Das ist quasi unmöglich.
Trotzdem ginge es jedem besser, der hier in der Messehalle oder in Wohnungen
in der Stadt untergebracht ist (privat wie kommunal organisiert), als in diesem
Durchgangslager.
Und das, obwohl die Volunteers dort alles geben, um den Leuten so gut wie
möglich zu helfen.
Polnische Pfadfinder gehen durch die Gänge und verteilen kleine Gaben an die
ukrainischen Kinder. Süßigkeiten oder kleine Spielzeuge. Auch wir hatten das in
unserer Spendenlieferung mit bei und ich hoffe, es macht das Leben dieser
Menschen für einen Moment besser. Ebenso, wie Nahrung Windeln und die
Schlafsäcke.
Das Beeindruckendste auf beiden Fahrten ist für mich mit Abstand die
uneingeschränkte Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit der Helfer.
Wir jedoch müssen nun überlegen, wie es weiter geht. Denn die Geldspenden
waren in der letzten Woche vor Abfahrt so zahlreich, dass wir sie nicht
aufgebraucht haben.
Natürlich werden sie in jedem Fall die ukrainische Bevölkerung erreichen.
Nur auf welchem Weg werden wir noch diskutieren.
Dazu werden wir in jedem Fall nochmal hier über die Seite der Hospitaliter zu
Magdeburg eine Information geben.
Ich möchte mich nun nochmal ausdrücklich bei allen bedanken, die gespendet
haben und ich denke, ich spreche auch für meine drei Mitstreiter.
Egal wieviel, egal ob Geld oder Sachspende – ohne dem wäre es nicht möglich
gewesen.
Vielen Dank an Euch
Martin Bulka
Vielen Dank für diesen Bericht. Er ist sehr lebendig geschrieben und gibt ein eindrückliches Bild von der Lage vor Ort. Hut ab vor euch, den Leuten aus dem Verein, dass ihr so etwas auf die Beine stellt. Auch, dass so viele Leute gespendet haben, ist aller Ehren wert. Da weiß man als Spender, dass die Hilfe schnell und direkt ankommt. Ich finde es auch schade, dass es nicht möglich war, jemandem von dort weg zu helfen. Aber: Ihr habt getan, was ihr konntet. Weiterhin viel Erfolg beim Unterbringen der restlichen Spenden. Ihr habt ein gutes Werk getan. Elke und Roland
Vielen Dank für die ausführliche Reisebeschreibung. Ich ziehe den Hut für Ihren Mut in das Kriegsgebiet zu reisen und zu helfen. Schade das Sie niemanden mitbringen konnten. Für Sie und ihr Helfer alles Gute und bleiben Sie bitte gesund. Vielen Dank, dass Sie unsere Sachen wohlbehalten abgeliefert haben. MfG Jutta Funfack