Fremde Welten

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Artikel für unseren Blog schreiben soll. Die Entscheidung sollte offensichtlich sein. Viel interessanter ist daher die Frage, warum ich überlegt habe. Es hat mich abgeschreckt, eine für mich persönlich negative Erfahrung im historischen Fechten hier zu veröffentlichen, weil ich niemandem zu nahe treten wollte. Im Rahmen meiner eigenen Psychohygiene und weil das hier ein Blog ist, der unter anderem auch Meinungen enthält, hab ich mich aber am Ende doch dafür entschieden.
Wir waren kürzlich mal wieder mit ein paar Leuten auf Tour, einen anderen Fechtverein besuchen, um einen Bekannten, der dort Mitglied ist endlich einmal wieder zu sehen. Zusätzlich kamen noch ein paar andere Fechterfreunde von weiter weg um sich dort mit uns in der Mitte zu treffen und den Verein kennenzulernen – ebenso wie wir. Meine Erwartungshaltung hat mir dabei einen gründlichen Strich durch die Rechnung gemacht, denn trotz unserer Anreise wurde das reguläre Training wie gewohnt durchgeführt. Begonnen hat es mit unterschwelligem Stress, da der Trainingsbeginn offenbar für die offizielle Begrüßung mit den FechterInnen auf der einen und dem Trainer auf der anderen Seite der Halle für unsere Ankunft aufgespart wurde. Ich mag solch einritualisierte Zurschaustellung von Hierarchie nicht. Aber ich bin Gast und füge mich gerne – schließlich müssen die Leute hier diese Art mögen, ich bin zum Fechten hier. Während wir uns in aller Eile umziehen, brüllt der Trainer ohne direkte Ansprache und nur durch Ausrichtung seines Kopfes einzelne Gäste durch die Halle an. „Brauchst Du nicht! BRAUCHST DU NICHT!!!“ Gemeint sind damit offenbar Schutzausrüstungsteile jeglicher Art. Auch mich trifft es, weil ich mir ein paar einfache Lederhandschuhe anziehe. Und doch ich brauche sie. Ich will sie tragen. Und das lasse ich mir auch nicht verbieten. Zwischendurch folgen noch ein paar abfällige Bemerkungen über andere Stilrichtungen historisch orientierten Kampfsportes und über einen Verein, in dem einer meiner Bekannten ebenfalls einmal Mitglied war. Fettnäpfchenwetthüpfen ist für heute Abend in jedem Fall entschieden. Es folgt das bereits erwähnte Begrüßungsritual, alle haben ein Schwert in der Hand. Dann müssen wir unsere Schwerter wieder weglegen um gemeinsam unsere Gelenke zu mobilisieren. Dass wir das hauptsächlich in schließenden Vorwärtsbewegungen tun, wundert mich zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Egal, gleich können wir fechten.
Doch diese Annahme ist ein Trugschluss. Stattdessen folgt eine Stunde Technikdrill zum Thema Schielhau, wie ich ihn seit 2014 nicht mehr erlebt habe. Stupides, kontextloses Hiebdrillen in der Distanz, ohne Bewegung, ohne zu klären was die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Technik sind, dafür aber mit millimetergenauen Korrekturen meiner Handpositionen, Körperhaltung, etc. Das mein Schwert 20cm länger ist und ich meine deutliche kleinere Trainingspartnerin bei der geforderten Handposition am Kopf treffe scheint keine Rolle zu spielen. Einer der anderen Gäste fragt mich bereits nach kurzer Zeit, wie sehr ich hier mein Gesicht zu wahren habe; er würde lieber mit mir woanders hin und fechten… Wir entschließen uns als Kompromiss die Technik mit Schutzausrüstung und etwas mehr Bewegung zu machen. Dem Trainer gefällt das offenbar, denn er schnappt sich meinen Bekannten um für seine SchülerInnen seine Technikinterpretation mit Schwung zu zeigen. Seine Endposition sieht komischerweise genauso aus wie die Haltung, die er bei mir 5 Minuten zuvor noch korrigiert hat. Mein Bekannter begeht den Fehler die Idee zu äußern, dass er als Angreifer vielleicht noch etwas anders tun würde, was dazu führt, dass der Trainer mit übertriebener Härte Folgetechniken und Konter zeigt. Dabei ignoriert er dreimal hintereinander den Einwand meines Bekannten, doch bitte etwas weniger Intensität walten zu lassen. Blutergüsse auf den Unterarmen sind die Folge. Meine Vorstellung von Techniktraining sieht anders aus.
Am Ende dürfen wir dann frei fechten. Nur Maske und Handschuhe als Schutz, mehr haben die Leute dort nicht dabei. Ich kämpfe nacheinander gegen 5 FechterInnen des Vereins. Alle sind technisch versiert, bewegen sich aber wie in einer Kata in Hiebfolgen eng durch die Mitte nach vorne. Das Muster ist bei jedem nahezu identisch. Einige landen ein paar saubere Treffer, viele Bedrohungen und Andeutungen durch mich werden entweder nicht wahrgenommen oder ignoriert – ich bin mir ob der akzeptierten Härte nicht sicher, habe aber auch zu diesem Zeitpunkt keine Lust mehr zu fragen, ob ein Stich auf den ungeschützten Torso wirklich sein muss, damit sie meinen Treffer akzeptieren. Ich komme im Schnitt ganz gut weg und unterm Strich machen die Gefechte doch Spaß. Ganz am Ende der Einheit fordert mich der Trainer. Das nehme ich natürlich gerne an. Er kämpft, wenig überraschend, genauso wie der Rest seiner SchülerInnen, agiert dabei aber deutlich aggressiver. Ich lasse ihn ein paar Mal ins Leere laufen, setze einige saubere Treffer, kassiere selbst einen oder zwei saubere Treffer aber in Summe sind die meisten Gänge Doppeltreffer, bei denen ich die Klinge an Kopf oder Torso des Gegners habe und er mir über Hände oder Arme schneidet. Da die meisten Leute um uns herum bereits packen, beende ich das Gefecht, grüße ab, bedanke mich und gehe zu meiner Tasche. Er folgt mir und setzt sich schwer atmend neben mich und ich bekomme eine ausführliche Belehrung darüber, dass das was ich da machen würde kein historisches Fechten sei. Ein Turnier könne ich damit vielleicht gewinnen. Aber ich habe keinen einzigen sauberen Schlag geführt und sein Vor nicht akzeptiert. In die Bücher sollte ich schauen. Da stünde alles drin. Außerdem müsse ich das doch gelernt haben. Kurz und gottseidank wirklich nur sehr kurz schleicht sich der Reiz, eine Diskussion zu beginnen in mein Bewusstsein. Psyche, du kleiner Schlingel. Ich entscheide mich heute Abend dazu, sowas ähnliches wie erwachsen zu sein und erkläre, dass Langschwert eigentlich nicht meine Waffe sei. Ich weiß nicht was es bewirkt hat, aber es beendet meine Standpauke. Als ich gepackt habe, kommt einer der Fechter zu mir und erklärt mir, dass ich ein unangenehmer und fordernder Gegner gewesen sei und bedankt sich noch einmal für das Sparring. Ich erwidere das und lade die Truppe ein, uns beim Training zu besuchen.

Werde ich noch einmal dorthin fahren? Zum offiziellen Training gewiss nicht. Zu einem inoffiziellen Treffen im Park? Sehr gerne.

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